Treffen zwei Technologie-Revolutionen aufeinander...
Dass Virtual und Augmented Reality sich in den nächsten Jahren als digitale Hilfsmittel in den unterschiedlichsten Branchen etablieren, scheint als gesetzt. Die Anwendungsszenarien sind extrem vielfältig und finden sich vor allem im Produktdesign zur Verifizierung von Konzepten und Varianten anhand möglichst fotorealistisch aufbereiteter Digitalmodelle oder im Engineering für digitale Absicherungen in Bezug auf Baubarkeit, Ergonomie oder Aerodynamik. Weitere Bereiche stellen die virtuelle Fabrikplanung, die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und nicht zuletzt zahlreiche Anwendungen im Bereich Marketing und Vertrieb dar. So finden sich heute auf vielen Fachmessen entsprechende VR-Exponate oder im Automotive-Bereich komplette Virtual Showrooms.
Gemeinsam haben all diese Szenarien, dass sie aufgrund der spezifischen Anforderungen an Datenübertragungsraten, Bandbreiten, Performance und Hardware kaum flächendeckend, sondern nur punktuell und in einem spezifischen Hardware-Setting eingesetzt werden können. Für eine Verbreiterung der Anwendungsbasis fehlt ein entscheidendes Detail: ein Datenfluss in Echtzeit. Das heißt eine Datenübertragung an jeden beliebigen Ort muss mit minimalster Latenz umsetzbar sein. Da scheint es ein sehr gutes Timing zu sein, dass sich die Einführung des neuesten Mobilfunkstandards 5G gerade zu dem Zeitpunkt anbahnt, zu dem immersive Technologien reif für den breiten kommerziellen Einsatz werden.
Schon die Einführung des 4G-Standrads (LTE) konnte die Antwortzeit im Gegensatz zum 3G-UMTS-Standards um rund zwei Drittel reduzieren: Von 100 auf rund 30 Millisekunden. Im Vergleich dazu stellt 5G einen erneuten Quantensprung dar. Die Antwortzeit innerhalb des neuesten Mobilfunkstandards liegt bei gerade einmal einer Millisekunde und kommt damit einer Echtzeitübertragung extrem nahe.
5G könnte somit ein erfolgsversprechender Ansatz zur zukünftigen, flächendeckenden Anwendung von VR – und damit auch AR-Anwendungen sein. Mit niedrigen End-to-End Latenzzeiten, die unterhalb von 20 Millisekunden liegen, lassen sich bereits sehr gute VR Experiences verwirklichen und der Grad der Interaktivität für zukünftige mobile VR- und AR-Lösungen kann erheblich gesteigert werden.
Es steht noch nicht abschließend fest, wann 5G der Industrie und dem Endverbraucher in Deutschland tatsächlich zur Verfügung stehen wird – erwartet wird eine vollkommene Abdeckung erst nach 2020. Viele Firmen experimentieren jedoch bereits heute mit entsprechend prototypischen Geräten und simulierten Szenarien – so auch Infinity Reply in einem aktuellen Projekt, das zusammen mit Spark Reply für einen namhaften Automobilkunden durchgeführt worden ist. Der Kunde ist daran interessiert, die technischen Grenzen von 5G vor allem für den Einsatz von AR und VR in Pre-Sales-Szenarien für Personenfahrzeuge im kurz- und mittelfristigen Zeitrahmen zu verstehen. „Wird es möglich sein, ein gutes AR/VR-Erlebnis zu streamen? Wann wird es praktisch machbar sein und unter welchen realen Bedingungen?“ – das waren die Fragen, die es innerhalb des Projektes zu beantworten galt.
Eine wesentliche Herausforderung für die Projektverantwortlichen waren die unterschiedlichen Voraussetzungen der Vertriebsstandorte des Automobilherstellers, was Netzwerkinfrastruktur und Hardware angeht. Eine Hürde, die die 5G-Technologie lösen könnte: Durch das Versprechen von hohen Bandbreiten und niedriger Latenz von 5G, könnten AR und VR theoretisch ohne signifikante lokale Rechenhardware bereitgestellt werden, die Berechnung könnte vielmehr im Netzwerk erfolgen, wodurch die Komplexität der AR/VR-Endbenutzergeräte reduziert und somit die Bereitstellung der Technologie erheblich erleichtert würde. Um diese Prämissen überprüfen zu können, wurde für das Projekt im Rahmen einer theoretischen Analyse und einer pilothaften Anwendung visueller Content aus der Cloud auf ein mobiles Endgerät gestreamt. Dafür wurden unterschiedliche Übertragungswege (WLAN, 4G, 5G) hinsichtlich Performance, Latenz und visueller Qualität gegenübergestellt und ausgewertet.
Infinity Reply sieht nach Abschluss des Projektes für 5G-gestützte AR/VR-Szenarien große Chancen für Automobilhersteller in Pre-Sales-Szenarien. Das volle Potenzial kann vor allem dann ausgeschöpft werden, wenn die extrem hohe visuelle Qualität, die der Technologiefortschritt möglich macht, dazu eingesetzt wird, den Kunden in den Mittelpunkt des Kaufprozesses zu stellen. Dazu sollten iterative Designprinzipien wie Design Thinking und Agile Design Sprints angewendet werden. Um die Verzögerungen, die durch die Übertragungszeiten zustande kommen, endgültig lösen zu können, müssten jedoch Edge-Computing-Szenarien umgesetzt werden, da Latenzzeiten auch bei einem Einsatz des 5G-Standards netzabdeckend bestehen bleiben werden. Aber auch diese Hürde könnte mittelfristig überwunden werden: AR/VR-Szenarien über 5G konnten bereits erfolgreich mit 6 GHz WiFi und lokalen Computern anstelle von Edge Computing simuliert werden.
Anstatt darauf zu warten, dass die Mobilfunkbetreiber eine breitere 5G-Abdeckung bereitstellen, sollten Unternehmen bereits heute die Chance ergreifen um Pilotprojekte durchzuführen und die Entwicklung von mobilen AR/VR-Lösungen voranzutreiben, die den Kunden in den Mittelpunkt stellen und ihm eine fesselnde Customer Experience bieten. Die Zusammenarbeit mit Technologieführern und vertikalen Dienstleistern wird dazu beitragen, dass die Lösungen so konzipiert sind, dass sie den Möglichkeiten entsprechen, die die 5G-Technologie in den kommenden Jahren bieten wird.
In naher Zukunft wird es Dienstleister geben, die sich auf die Bereitstellung von AR/VR in lokalen (stationären) Umgebungen konzentrieren.
Mobile AR/VR-Lösungen werden einen größeren Teil der installierten Basis im Vergleich zu stationären VR-Geräten ausmachen – trotz der Tatsache, dass die mobilen Geräte noch Einschränkungen in Bezug auf Zuverlässigkeit und Leistung haben werden.
Mit dem technologischen Fortschritt in den nächsten fünf bis zehn Jahren werden dedizierte AR-Geräte verfügbar sein und das Feld für eine viel größere Vielfalt an relevanten Anwendungsfällen für professionelle und private Zwecke öffnen.
Unternehmen, die Lösungen entwickeln, die den Kunden in den Mittelpunkt stellen und auf Benutzerbedürfnissen basieren, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreicher sein als Unternehmen, die sich nur auf die verfügbare Technologie konzentrieren, wie sie heute in den meisten Branchen zu finden sind.